Die Zustellung auf der letzten Meile allein macht weltweit bis zu 50 Prozent aller Transportemissionen im E-Commerce-Sektor aus. Auch die Zustellversuche treiben die Scope-3-Emissionen in die Höhe.

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E-Commerce: Nachhaltigkeit ist nicht nur ‚nice to have‘

08.09.2023

Emissionen, die in der Lieferkette eines Unternehmens entstehen, sind schwer zu überwachen und zu berechnen. Eine Studie von Roland Berger und Swissmem gibt Lösungsansätze für E-Commerce-Akteure an die Hand.

Laut einer Studie von Roland Berger und Swissmem können Scope-3-Emissionen „weit über 90 Prozent der Gesamtemissionen ausmachen, die innerhalb einer Wertschöpfungskette anfallen.“ Insbesondere für E-Commerce-Akteure kann das Management dieser Emissionen eine Herausforderung darstellen.

Scope-1-Emissionen sind Emissionen aus Quellen, die vom Unternehmen kontrolliert werden, beispielsweise der Energieverbrauch bei der Produktion oder Emissionen des eigenen Fuhrparks.

Scope-2-Emissionen stammen aus eingekaufter Energie, welche im Unternehmen verbraucht wird, wie Strom, Gas, usw.

Scope-3-Emissionen meint alle übrigen indirekten Emissionen, zum Beispiel solche, die bei der Zulieferung eines Produkts an den Kunden entstehen oder die durch den Energieverbrauch des Produkts durch den Kunden anfallen.

Allein die Zustellung auf der letzten Meile macht weltweit bis zu 50 Prozent aller Transportemissionen im E-Commerce-Sektor aus. Auch die Retouren sind ein wichtiger Emissionsfaktor. Einige Marken verzeichnen heute Rücksendequoten von bis zu 50 Prozent und mehr. Die führenden Online-Marktplätze haben in den 2010er Jahren bei den Verbrauchern die Erwartung ausgelöst, ihre Bestellungen kostenlos geliefert zu bekommen und sie ebenfalls kostenlos zurücksenden zu können.

Heute steht Nachhaltigkeit bei den Verbrauchern hoch im Kurs

Mittlerweile verschiebe sich der Schwerpunkt von der Lieferung am selben oder folgenden Tag hin zu nachhaltigeren Methoden wie der planmäßigen oder außerhäuslichen Lieferung, sagt Christian Grosse, Chief Product Officer, Maersk E-Delivery bei A.P. Moller-Maersk. „Kassendaten und Umfragen aus dem Jahr 2023 zeigen uns, dass die europäischen Verbraucher zunehmend bereit sind, länger auf ihre Waren zu warten, da sie wissen, dass dies die Umwelt weniger belastet.“

Verbraucher, besonders jüngere Käufer, verlangen mehr Verantwortung von den Marken und haben höhere Erwartungen als je zuvor. Unternehmen können auf diese Erwartungen reagieren, indem sie eine Lieferung außerhalb des Hauses oder eine geplante Lieferung als Standard anbieten, mehr Geld für eine Lieferung am selben oder nächsten Tag verlangen oder für Rücksendungen einen Preis ausweisen.

Noch keine global einheitlichen Bestimmungen

Neben den Erwartungen der Verbraucher haben Unternehmen auch die politischen Vorgaben einzuhalten. Dabei gibt es keinen global abgestimmten Berichtsstandard, so dass besonders globale Marken mit den uneinheitlichen Bestimmungen zu kämpfen haben.

In der EU wird von Unternehmen ein Bericht über die unternehmerische Nachhaltigkeit verlangt. Allerdings betrifft dies nur große börsennotierte Unternehmen. Demnach sind kleinere und mittlere Unternehmen noch davon befreit. Das wird sich jedoch bald ändern: Die Nachhaltigkeitsberichterstattung und -prüfung soll in Europa obligatorisch werden. Auch andere Regionen dürften dann nachziehen. „Noch vor zwei oder drei Jahren galt Nachhaltigkeit im E-Commerce als etwas, das man eher ‚nice to have‘ nennen konnte. Jetzt hat sich das grundlegend geändert. Es ist ein ‚Muss‘, wenn Marken überleben wollen – und wenn sie es nicht tun, werden einige Marken früher oder später aus dem Spiel fallen“, meint Marc Pisoke, Partner bei Roland Berger.

Transparenz in alle Richtungen

Datentransparenz ist für Unternehmen eine weitere große Herausforderung bei der Verringerung ihrer Scope-3-Emissionen. Angesichts der zahlreichen Stakeholder, die an ihren Lieferketten beteiligt sind, kann es für Marken schwierig sein, Daten von all ihren Partnern zu erhalten. Für die Emissionsreduzierung ist es allerdings unerlässlich, dass Unternehmen die größten Verursacher von Kohlenstoffemissionen identifizieren, um Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen einführen und den Fortschritt kontinuierlich messen zu können. „Es ist nun von entscheidender Bedeutung, dass Marken die Datenlücke bei der Verfolgung von Lieferantenemissionen schließen und mit Partnern zusammenarbeiten“, betont Pisoke.

Bereits bei der Wahl ihrer Partner sollten Unternehmen darauf achten, dass deren Werte mit den eigenen übereinstimmen. Die Procurement-Teams müssen die ESG-Belange der Lieferanten, mit denen sie zusammenarbeiten wollen, bewerten und die Auswirkungen der verschiedenen Optionen in der Lieferkette, die potenziellen Risiken und die Möglichkeiten der Wertschöpfung verstehen. Grosse sagt: „Einzelhändler müssen sich über die Anforderungen im Klaren sein, die sie an potenzielle Partner stellen. Wenn sie sich für einen Partner entscheiden, müssen sie transparent sein, was die KPIs, die Berichterstattung und Überwachung sowie die Schwellenwerte für Kohlenstoffemissionen angeht.“

Die Festlegung klarer KPIs und die Forderung nach Transparenz sind entscheidend, um den Überblick über die Scope-3-Emissionen zu behalten. Unternehmen im E-Commerce-Handel müssen sich jetzt auf den Aufbau von Partnerschaften konzentrieren, die der Nachhaltigkeit auf allen Ebenen Priorität einräumen, um für die Verbraucher relevant zu bleiben.

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