Ein großes und wichtiges EU-Gesetz stärkt insbesondere den Mittelstand: Die europäische Nachhaltigkeitsrichtlinie CSRD soll Transparenz schaffen, ressourcenschonendes Wirtschaften messbar machen und durch präzise ermittelte Kennzahlen europaweit für Vergleichbarkeit sorgen.
„Für mich ist das eine positive Revolution“, sagt Prof. Ursula Binder, die an der Technischen Hochschule Köln Management und Controlling, operative Planung, internes Rechnungswesen und nachhaltige Entwicklung lehrt. Die Regelung führe zum Ende des Greenwashing, bei dem sich Unternehmen durch vermeintlich umweltfreundliche Maßnahmen ein grünes Image verpassen. Denn die Corporate Sustainability Reporting Directive, wie die Richtlinie auf Englisch heißt, verlangt von den Betrieben, ihr Wirtschaften datenbasiert zu dokumentieren.
„Die Erfahrung mit der europäischen Politik der vergangenen Jahrzehnte zeigt, dass große neue Regelungen immer dann kommen, wenn sich die Unternehmen nicht freiwillig mit den adressierten Themen befassen“, berichtet die Hochschullehrerin. Mit der CSRD wollten die europäischen Gesetzgeber die negativen Auswirkungen des Wirtschaftens großer Konzerne eindämmen, deutet sie an. Das verbessere im Umkehrschluss auch die Position kleiner Unternehmen, selbst wenn diese es durch den zusätzlich anfallenden bürokratischen Aufwand nicht so empfinden.
„Viele fühlen sich mit der Regelung alleingelassen, es gibt viel zu wenig Unterstützung“, erklärt Binder und fügt hinzu: „Gerade die kleineren Unternehmen haben keine Vorstellung davon, welches Handeln jetzt konkret erforderlich ist - ihnen fehlt die Erfahrung.“ Deshalb schult die Professorin Mittelständler für ihre aus der CSRD entstehenden Aufgaben: Sie händigt ihnen etwa eine einfache deutsche Inhaltsübersicht der Richtlinie aus und erklärt deren Kontext. Dabei zeigt sie auf, wie die Pariser Klimakonferenz 2015 zum Startpunkt der neuen Regularien geworden ist. Außerdem bietet sie den Unternehmen Einblicke in die EU-Taxonomie-Verordnung, die nachhaltige Investitionen fördern soll.
Themenfelder auswählen
Vor allem zeigt Binder praxistaugliche Wege auf, den Nachhaltigkeitsbericht aus den Formaten des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) und der Global Reporting Initiative (GRI) in den verbindlich festgelegten European Sustainability Reporting Standard (ESRS) zu überführen. „Dabei geht es insbesondere darum, die Themenfelder zu definieren, über die das Unternehmen berichten muss“, verdeutlicht sie. Die Berichtsinhalte seien individuell aus der sogenannten doppelten Wesentlichkeitsanalyse abzuleiten, die den Auftakt für die Nachhaltigkeitsberichterstattung bildet.
Als doppelt gelte sie aufgrund der beiden vorgegebenen Betrachtungsperspektiven: „Von innen nach außen sind die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf das Unternehmensumfeld zu betrachten, während von außen nach innen der Einfluss des Umfelds auf das Wirtschaften zu erfassen ist“, verdeutlicht die Hochschullehrerin. Dabei sei es zu empfehlen, die Analyse mit einem intensiven Brainstorming zu der Frage zu beginnen, „was für ein bestimmtes Unternehmen ein wesentliches Nachhaltigkeitsthema sein könnte“. Anschließend sei eine firmenspezifische Stakeholder-Liste anzufertigen, die neben Kunden, Lieferanten und Gesellschaftern auch das örtliche Umfeld umfassen sollte.
Auf dieser Grundlage könnten die Verantwortlichen die Themen auswählen und ihre Relevanz bestimmen. Wichtig sei dabei eine ausgewogene Einschätzung. „Zur besonderen Herausforderung hat sich der Kontakt zu den Stakeholdern entwickelt, weil mit der Einführung der Berichtspflicht nahezu alle überlastet sind“, berichtet Binder. Sie empfiehlt deshalb, kreative Lösungen für den Austausch zu suchen und zu anderen Anlässen vereinbarte Termine auch für die CSRD zu nutzen. „Wer seine Fragestellungen gut vorbereitet, findet auch bei Firmenevents und Kundenterminen passende Gelegenheiten für einen informellen Austausch“, verrät die Professorin.
Auch die Auswertung der Ergebnisse sei nicht einfach, etwa zu der Frage, „welche Stakeholder-Gruppe mehr Gewicht benötigt“. Dafür habe es sich bewährt, zur Selbsteinschätzung der Stakeholder eine Wesentlichkeitsmatrix anzufertigen. „Ansonsten hilft es auch, sich die eigene Vorprägung bewusst zu machen und sich zu vergegenwärtigen, dass sämtliche Wertungen subjektiv sind“, unterstreicht Binder. Dann werde es möglich, die relevanten Themen zu bestimmen und den Modulen des ESRS-Standards zuzuordnen. „Es ist ausdrücklich gewünscht, nur die wirklich relevanten Datenpunkte auszuwählen“, betont sie.
Nachhaltigkeit in Speditionen
Die zentralen Nachhaltigkeitsthemen für Speditionen zu bestimmen, sei relativ einfach: Antriebsauswahl, Energieverbrauch und CO₂-Ausstoß gehörten zu den wichtigsten Umweltthemen; hier eigne sich insbesondere die digitale Erfassung von Primärdaten für den Nachhaltigkeitsbericht. Die Arbeitsbedingungen von Lkw-Fahrern stellten wohl die drängendste soziale Frage dar. Auf diesem Gebiet sei es deutlich schwieriger, belastbare Informationen zu erhalten, die den bilanzrechtlichen Ansprüchen standhalten; sie rechne deshalb damit, dass sich Prüfsiegel und Zertifizierungen insbesondere für osteuropäische Transportunternehmen entwickelten.
„Auftraggeber müssen nachvollziehbar dokumentieren, dass die Arbeitsbedingungen von Lkw-Fahrern die schutzwürdigen Rechte nicht verletzen“, so Binder. Dazu zählten der Anspruch auf den jeweils gültigen Mindestlohn, das Verbot, die zweiwöchentliche Erholungszeit im Lkw zu verbringen, und das Rückkehrrecht zur Familie nach vier Wochen im Einsatz. Das stärke außerdem die Verhandlungsposition von Frachtführern und Speditionen gegenüber ihren Auftraggebern. Transportkosten unter einen wirtschaftlichen Preis zu drücken, sei künftig kaum noch möglich: „Die Schlupflöcher werden kleiner.“
Zudem verschaffe die Richtlinie den Entscheidungsträgern neue Möglichkeiten, wirksam zu handeln, indem sie den Widerspruch zwischen dem im Beruf erwarteten Handeln und ihren persönlichen Erkenntnissen verringere: „Sie müssen sich nicht mehr aus wirtschaftlichen Motiven gegen eigene Überzeugungen stellen“, unterstreicht die Professorin. So stärke der europäische Gesetzgeber die Verantwortung der Manager: „Sie dürfen die Scheuklappen abnehmen.“
CSRD
Die europäische Corporate Sustainability Reporting Directive gilt für Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden und mindestens 50 Millionen Euro Umsatz oder einer Bilanzsumme über 25 Millionen Euro. Sie gibt ihnen die Aufgabe, neben dem Finanzbericht auch einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen, der im Lagebericht denselben rechtlichen Stellenwert erhält. www.dvz.de/csrd