Wenn sich Vertreter aus 193 Staaten vom 27. September bis zum 7. Oktober in Montreal zur 41. Generalversammlung der UN-Luftverkehrsorganisation ICAO treffen, könnten sie das „langfristig anzustrebende Ziel“ beschließen, dass der Flugverkehr bis 2050 klimaneutral werden soll. Das wird in der EU-Kommission erwartet. Ein anderes Ergebnis des Treffens könnte sein, dass Russland aus der ICAO ausgeschlossen wird, unter anderem, weil nach dem Angriff auf die Ukraine in anderen Ländern geleaste Flugzeuge einbehalten wurden und nun in Russland ohne die vorgeschriebenen internationalen Sicherheitsbescheinigungen fliegen dürfen.
Auf Klimaneutralität bis 2050 haben sich vor gut einem Jahr bereits die im internationalen Luftverkehrsverband IATA zusammengeschlossenen Airlines verpflichtet. Wenn die ICAO jetzt nachzieht, sollte genau nachgefragt werden, wie sie das Ziel erreichen will, empfiehlt der Europaabgeordnete Bas Eickhout (Grüne). Hauptinstrument der ICAO sei das internationale Klimaschutzinstrument „Corsia“, das Eickhout für völlig unzureichend hält, den Flugverkehr nachhaltig zu machen.
Europaabgeordneter erwartet „Greenwashing“
Hauptsächlich deshalb, weil Corsia eine Zunahme von Treibhausgasemissionen erlaubt. Lediglich der Zuwachs gegenüber der Emissionsmenge eines Basisjahres – im Gespräch sind 2019 oder der Durchschnitt der Jahre 2019/2020 – soll von den Airlines durch die Unterstützung von Klimaschutzprogrammen kompensiert werden. Längst nicht ausreichend, befindet der Vize-Vorsitzende des EP-Umweltausschusses. Schon gar, da sich die ICAO wohl auf den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ einigen und das Covid-Jahr 2020 nicht zum Basisjahr machen werde, wodurch die zu kompensierende Emissionsmenge noch kleiner würde. „Wir können hier maximales Greenwashing der ICAO erwarten“, sagt Eickhout.
Die europäische Umweltorganisation Transport & Environment (T&E) hat berechnet, dass Airlines bei einem Basisjahr 2019/2020 mit Corsia 2030 für einen Flug zwischen Europa und Nahost pro Passagier 1,40 Euro CO₂-Kompensation zahlen müssten, im Verkehr mit China 3,50 Euro und mit den USA 2,40 Euro. Wird nur 2019 als Basisjahr genommen, würden diese Zusatzkosten bei Flügen zwischen EU und USA auf 0,80 Euro pro Passagier sinken. Für reine Cargoflüge gibt es keine entsprechenden Umrechnungen, sagt Jo Dardenne, Luftfahrtdirektorin bei T&E. Sie geht aber davon aus, dass die Zusatzkosten beim Umlegen auf die transportierte Fracht für die Verlader noch minimaler sind.
EP will EU-Emissionshandel ausweiten
Das Europäische Parlament will sich nicht auf Corsia als einziges internationales Klimaschutzinstrument verlassen und möchte alle von Airports im Europäischen Wirtschaftsraum startenden Flüge dem EU-Emissionshandel unterwerfen. Dafür spricht sich auch die Fluggesellschaft Easy Jet aus. Das entspreche dem Ansatz, den die EU im internationalen Seeverkehr verfolgt. Wenn jedes Land der Welt die abgehenden Flüge mit einem CO₂-Preis belege, entstehe ein faires und effizientes System, und es gebe keinen Anreiz für Ausweichflüge, sagt Eoghain Mitchison, EU Policy Officer von Easy Jet.
Easy Jet sieht Corsia nicht als alleinige Lösung
„Die beste Lösung wäre, alle aus Europa abgehenden Flüge in den EU-Emissionshandel einzubeziehen und Corsia auf den außereuropäischen Flugverkehr anzuwenden“, sagt Mitchison. Wenn beides zusammen nicht durchsetzbar sei, diene es der Umwelt mehr, nur auf die europäische Lösung zu setzen. Auf keinen Fall solle sich die EU darauf einlassen, zugunsten von Corsia auf das EU-Emissionshandelssystem zu verzichten. „Mit Corsia wird der Flugverkehr niemals klimaneutral“, sagt Mitchison.
Derzeit sind in der EU Flüge innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums dem Emissionshandel unterworfen. Fluggesellschaften bekommen allerdings rund 80 Prozent der dafür nötigen Emissionsrechte umsonst. 2012 hatten die EU-Gesetzgeber eigentlich beschlossen, alle in der EU startenden und landenden Flüge in den CO₂-Handel einzubeziehen. Nach heftigen internationalen Protesten machten sie aber einen Rückzieher.
Arbeitnehmer verlangen mehr Mitsprache
Vor der ICAO-Versammlung fordern Beschäftigte der Luftfahrtbranche, dass Arbeitnehmer über eine „Klimaschutz-Versammlung“ mehr Mitsprache bei der Klimaschutzpolitik bekommen, damit ihre Arbeitsplätze langfristig sicher bleiben. „Safe Landing“, eine Arbeitnehmerorganisation, die nach eigenen Angaben 600 Unterstützer hat, fordert von der Branche, die Umweltauswirkungen des Luftverkehrs „ehrlich“ zu benennen, die Grenzen technischer Klimaschutzlösungen realistisch einzuschätzen, offen über kommende Klimaschutzregulierungen zu reden und die Arbeitnehmer bei der Umstellung der Branche zu unterstützen. „Angesichts des verbleibenden globalen Budgets an Kohlenstoffemissionen können wir nicht weiter den Luftverkehr alle 15 Jahre verdoppeln, wie wir es in der Vergangenheit gemacht haben“, sagt Todd Smith, Pilot und Mitgründer von „Safe Landing“.