Im Jahr 2025 muss der CO₂-Ausstoß von schweren Nutzfahrzeugen im Flottendurchschnitt um mindestens 15 Prozent unter dem des Vergleichszeitraums 2019/2020 liegen. 2030 müssen es dann mindestens 30 Prozent weniger sein. So schreibt es die EU-Verordnung 2019/1242 vor. Die EU-Kommission strebt aber noch ambitioniertere CO₂-Grenzwerte an. Ihr – mehrfach verschobener – Vorschlag zur Überarbeitung der Verordnung wird im Mai erwartet.
Alexander Vlaskamp, Chef des Nutzfahrzeug-Herstellers MAN, ist von den Plänen für eine Grenzwertverschärfung nicht begeistert. MAN hat sich vorgenommen, den CO₂-Fußabdruck schrittweise zu verkleinern, um bis 2050 CO₂-Neutralität erreichen zu können, und setzt dafür stark auf E-Lkw mit batterieelektrischem Antrieb. Ab 2024 soll die Serienfertigung beginnen. Vlaskamp geht davon aus, dass die Nachfrage der Transportwirtschaft nach nachhaltigen Lösungen immer weiter ansteigt. „Muss dieser Prozess durch immer neue Nachschärfungen noch strenger reguliert werden?“, fragt der Niederländer im Gespräch mit der DVZ. „Oder können wir angesichts von Milliardeninvestitionen nicht darauf vertrauen, dass die Industrie den eingeschlagenen Weg weitergeht?“
„Euro VII auf 2030 verschieben“
Vlaskamp kritisiert vor allem, dass die verschiedenen EU-Rechtsvorschriften nicht gut aufeinander abgestimmt seien. „So brauchen wir zur Erreichung des CO₂-Flottenziels zum Beispiel batterieelektrische Fahrzeuge zu einem Zeitpunkt, wo die Infrastruktur aufgrund der verzögerten Regelung der EU noch gar nicht in ausreichendem Maße da ist.“ Zwar arbeiten die EU-Gesetzgeber gerade an der Alternative Fuels Infrastructure Regulation (AFIR), die einen Aufbau von Mindest-Ladenetzen in der EU bis 2030 regeln soll. Doch für Vlaskamp kommt das zu spät, zumal sich die Vorgaben nur auf die Hauptstrecken im Transeuropäischen Verkehrsnetz (TEN-V) beziehen werden. Zusätzlich erschwert sieht er den Übergang zur Elektromobilität im Schwerlastverkehr noch durch den Vorschlag für eine ab 2027 einzuhaltende neue Abgasnorm „Euro VII“, die aufwendige Investitionen in Lkw-Verbrennungsmotoren nötig mache.
„In den nächsten zehn Jahren haben wir einen Slalomparcours durch verschiedene Regelwerke vor uns, die einander zum Teil entgegenwirken“, sagt der MAN-CEO. „Ich glaube, das größte Problem der Menschheit sind die CO₂-Emissionen, und daran sollten wir arbeiten“. Vlaskamp fordert, Euro VII auf 2030 zu verschieben, um Investitionen verteilen und besser einschätzen zu können, welche Fahrzeugtypen überhaupt noch einen Verbrennungsmotor bekommen sollen.
EU soll für lokale Ladenetze sorgen
„Sinnvoller wäre außerdem eine Verschärfung der CO₂-Grenzwerte für 2030 um 5 oder 10 Prozent, wenn sich gleichzeitig die EU nicht nur um AFIR kümmert, sondern auch um ‚AFIR Lokal‘, also den Ausbau der Ladenetze bis in die Industriegebiete und auf die Betriebshöfe.“
Vlaskamp geht davon aus, dass E-Lkw zu etwa 80 Prozent auf Betriebshöfen und an Be- und Entladestellen geladen werden müssen. Speditionen, Transportunternehmen und Energieversorger müssten entsprechende Lademöglichkeiten schaffen. Auch die Traton-Gruppe, zu der MAN gehört, habe gemeinsam mit Daimler und Volvo eine halbe Milliarde Euro investiert. Vlaskamp sieht aber auch die Politik gefordert, etwa bei der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für lokale Ladenetze.
„Mehr auf Bestandsflotte achten“
Wenn die EU über die neuen CO₂-Normen vorschreiben würde, dass Lkw ab 2040 keine Emissionen mehr ausstoßen dürfen, würde das nach Vlaskamps Ansicht den Weg zur Klimaneutralität ebnen, sofern dann das Ladenetz stehe. „Die Jahre von 2040 bis 2050 könnten wir dann nutzen, um die gesamte Flotte zu erneuern. Wir können die Fahrzeuge dafür liefern“. Vorher sollte die EU die Branche aber nicht zum Umstieg auf E-Lkw zwingen.
„Für mich ist es erstaunlich, dass die EU die Erneuerung der Bestandsflotte nicht stärker in den Fokus nimmt“, sagt der MAN-Cef. Lkw in Europa seien im Durchschnitt 13 Jahre alt, die Hälfte der Flotte bestehe aus Fahrzeugen mit Abgasnorm Euro V und niedriger. „Wenn ein Euro V-Fahrzeug durch einen modernen Euro VI-Lkw ersetzt wird, werden Kraftstoffverbrauch und CO₂-Ausstoß um etwa 15 Prozent reduziert“.
Das deutsche Programm zur Flottenerneuerung sei gut gewesen. „Es würde enorm helfen, wenn so etwas auch europaweit aufgesetzt würde. Das würde schlagartig Emissionen senken“. Lkw-Hersteller könnten ihren Absatz besser planen und die Erlöse in die Herstellung batterieelektrischer Fahrzeuge stecken.
Nach Vlaskamps Ansicht werden 3 bis 10 Prozent der Lkw auch 2040 noch mit Verbrennungsmotor fahren müssen, zum Beispiel Schwerlasttransporter, Militär- oder Katastrophenschutzfahrzeuge. Die könnten mit Wasserstoff oder mit Biokraftstoffen angetrieben werden. „Denn dafür haben wir ausreichend nachhaltige Biokraftstoffe zur Verfügung.“
Wasserstoff erfordert viel Windkraft
Ansonsten sieht er weder für Biokraftstoff, noch für Wasserstoff oder synthetische E-Fuels eine Zukunft beim Lkw. Wasserstoff könne vielleicht in sehr abgelegenen Regionen eine Alternative zum Strom sein, er sei bei heutigen Preisen von 13 bis 14 Euro pro Kilogramm in Deutschland aber viel zu teuer. „Wirtschaftlich im Betrieb wird ein Lkw erst bei 3 bis 4 Euro.“
Zudem werde Wasserstoff vorrangig zur Dekarbonisierung der EU-Industrie gebraucht, und bei seiner Erzeugung aus Ökostrom und der Rückumwandlung gingen 75 Prozent der Energie verloren. „Man braucht also zum Betrieb der gleichen Lkw-Flotte dreimal so viele Windkrafträder“ wie für batterieelektrische Lkw, sagt Vlaskamp. Gegen E-Fuels sprächen die gleichen Gründe, diese würden meist auf Grundlage von Wasserstoff hergestellt.
In der Batterietechnik sieht Vlaskamp keine Hürden für die Entwicklung von E-Lkw, die heutigen Batterien verkrafteten auch Hochleistungsladen. „Batteriezellen haben heute praktisch die gleiche Lebensdauer wie der Lkw. Man muss auch nicht jeden Tag Mega-Charging nutzen. Es gibt viele Tage, an denen das Fahrzeug länger steht, wo auch mit niedrigerer Leistung geladen werden kann.“
Recycling soll Versorgung sichern
Die Furcht, dass die nötigen Rohstoffe für eine Massenproduktion von Batterien knapp werden könnten, will Vlaskamp ebenfalls nicht teilen. „Wir sind Teil der Volkswagen Gruppe und in diesem Rahmen ist unsere Versorgung langfristig geplant und abgesichert.“
Recycling werde an Bedeutung gewinnen, wenn eine größere Menge E-Fahrzeuge auf dem Markt sei. „So denken wir in unserem Batteriewerk, das wir in Nürnberg aufbauen, von Anfang an den Recyclingprozess mit“, sagt der MAN-Chef. „Die Rohstoffe aus den Batterien können in der Zukunft zu etwa 95 Prozent für neue Batterien wieder genutzt werden.“