Der gebürtige Hagener, Wolfram Guntermann, ist seit mehr als 40 Jahren für Hapag-Lloyd tätig. 1996 wurde er im Alter von 35 Jahren zum Kapitän ernannt. Im Jahr 1999 übernahm er die Marine Operations für Hapag-Lloyd in den USA. Seit 2011 kümmert er sich als Director Regulatory Affairs weltweit um Umweltangelegenheiten, welche die Flotte betreffen. Zusammen mit führenden Schifffahrtsverbänden adressiert er bei der IMO wichtige Umweltfragen. Zudem vertritt er Hapag-Lloyd beim European Sustainable Shipping Forum (ESSF) der Europäischen Kommission.

Bild: Hapag-Lloyd

Warum die IMO vor der größten Aufgabe ihrer Geschichte steht

03.07.2023

Die Internationale Seeschifffahrts-Organisation IMO berät seit Montag in London über eine Verschärfung der Klimaschutzregeln für die weltweite Schifffahrt. Der Hapag-Lloyd-Manager Wolfram Guntermann sprach im Vorfeld über seine Erwartungen an das Treffen des IMO-Umweltausschusses.

Der Hapag-Lloyd-Manager Wolfram Guntermann über seine Erwartungen an das am 3. Juli in London beginnende Treffen des IMO-Umweltausschusses, der die globalen Klimaziele der Schifffahrt verschärfen könnte.

DVZ: Herr Guntermann, der Ausschuss für den Schutz der Meeresumwelt (Marine Environment Protection Committee MEPC) der IMO trifft sich zu seiner mit Spannung erwarteten 80. Sitzung. Viele Marktteilnehmer erhoffen sich als Ergebnis der viertägigen Konsultation eine klare Verschärfung der IMO-Klimaziele. Mit welchen Erwartungen blicken Sie auf das Treffen?

Wolfram Guntermann: Wir bei Hapag-Lloyd befürworten auf jeden Fall eine Verschärfung der Ziele. Wir haben uns selbst als Ziel gesetzt, bis 2045 einen Netto-Null-Treibhausgasausstoß für unsere gesamte Flotte unter Verwendung von alternativen Kraftstoffen zu erreichen. Es wäre wünschenswert, wenn die IMO auch diesen Pfad einschlagen würde. Wichtig ist aber auch, dass konkrete Zwischenziele vereinbart werden für 2030 und 2040.

Teilt der Markt Ihre Ansichten?

Die Meinungen gehen schon auseinander, sonst wären wir heute bereits weiter. Es gibt Parteien, die sagen, Klimaneutralität bis Ende des Jahrhunderts reiche völlig aus. Die westlichen Nationen, allen voran die 27 EU-Länder sind bei dieser Diskussion sehr progressiv und setzen sich stark für eine Verschärfung ein. Die Rolle der EU-Länder als Katalysator ist in diesem Prozess nicht zu unterschätzen. Das EU-Emissionshandelssystem gilt ja bereits. Doch wir brauchen weltweit gültige Regeln. Ich bin aber vorsichtig optimistisch, dass uns das nun gelingen wird.

Woher kommt Ihr Optimismus?

Die EU-Länder haben bereits wichtige Entwicklungen bei der IMO angestoßen und umgesetzt. Ein konkretes Beispiel ist die Reduktion des zulässigen Schwefelgehalts von Brennstoffen auf 0,5 Prozent. Die EU Sulphur Directive hat ganz klar gesagt, dass maximal 0,5 Prozent Schwefelgehalt weltweit gelten soll. Und wenn die IMO das nicht umsetzt, führen wir das in einer europäischen exklusiven Wirtschaftszone ein. Durch diesen Druck ist tatsächlich die Einführung der niederschwefeligen Brennstoffe geglückt. Erst vor kurzem hat die IMO beschlossen, dass das Mittelmeer ab Mai 2025 zur Sulphur Emission Control Area wird, wo dann sogar nur noch Schiffstreibstoffe mit einem Schwefelgehalt von maximal 0,1 Prozent erlaubt sein werden. Es gibt also entscheidende Fortschritte, und die stimmen mich optimistisch.

Wer hat denn bislang eine schärfere Regulierung verhindert, sei es bei Treibhausgasemissionen, Schwefelgehalt oder anderen Themen bei der IMO?

Ich möchte nur ungern mit dem Finger auf Einzelne zeigen, aber es gab bei der eben genannten 0,5-Prozent-Grenze für den Schwefelgehalt bremsende Kräfte aus dem Umfeld der Erdöl-exportierenden Nationen. Diese hätten natürlich gern weiter ihren konventionellen Treibstoff auf den Markt gebracht.

Besteht die Gefahr, dass auch nach MEPC 80 der Status quo in der internationalen Seeschifffahrt erhalten bleibt oder halten Sie das für ausgeschlossen?

Das kann ich mir kaum vorstellen. Dennoch muss ich zur Vorsicht mahnen. Auch ich habe keine Kristallkugel bei mir auf dem Tisch stehen.

In den vergangenen Monaten gab es bereits positive Entwicklungen wie die Einrichtung grüner Schifffahrtskorridore.

Das stimmt. Bei der COP 26 in Glasgow wurde 2021 die Clydebank Declaration unterschrieben. Diese Erklärung sieht die Einrichtung von grünen Schifffahrtskorridoren mit emissionsfreien Seeverkehrsrouten zwischen zwei (oder mehr) Häfen vor. Da die sauberen Kraftstoffe nicht ad hoc weltweit verfügbar sind, sollte so in kleinem Rahmen ein Anfang gemacht werden. Der Kraftstoff muss ja in den einzelnen Häfen verfügbar sein, eine Infrastruktur muss aufgebaut werden. Es muss Regularien geben, die die Benutzung von diesen Kraftstoffen erlaubt. Und letztlich braucht es Reeder und Schiffseigentümer, die auf diesen grünen Korridoren die entsprechenden Schiffe einsetzen, um Erfahrungen mit neuen Kraftstoffen zu sammeln. Wenn das alles gegeben ist, kann Forschung auf den Korridoren betrieben werden. Mittlerweile sind aber einige IMO-Mitgliedsstaaten wieder auf Gegenkurs gegangen. Sie wollen nicht gezwungen werden, grüne Korridore einzurichten. Von Zwang war aber nie die Rede. Es ist ein komplett freiwilliges Konzept. Hier muss noch besser kommuniziert werden.

Auch bei alternativen Kraftstoffen läuft es nicht reibungslos. Die Einführung von LNG hat fast zwei Jahrzehnte gedauert.

Wir hatten zu LNG genau wie zu anderen neuen Technologien teilweise sinnbefreite Diskussionen, ob erst die Henne oder das Ei da sein muss. Für so etwas haben wir heute keine Zeit mehr. Wir haben nicht mehr die Zeit, zu diskutieren, ob man LNG im Hamburger Hafen bunkern darf oder nicht. Das geht nicht. Wir brauchen ein unternehmerisches Umfeld, das viel schnellere Entscheidungen ermöglicht. Und sollte sich rund um MEPC 80 herauskristallisieren, dass die Politik keinen zufriedenstellenden Rahmen bereitstellt, dann werden es die Unternehmen sehr wahrscheinlich selbst in die Hand nehmen müssen. Im World Shipping Council sind durchaus Unternehmen vertreten, die gewillt sind, das zu machen.

Es scheint so, als sei die Industrie bei den Klimaambitionen in der Seeschifffahrt schon deutlich weiter als die Politik.

Vollkommen richtig. Bereits bei IMO MEPC 78 im Sommer 2022 hatte das World Shipping Council mit seinen Mitgliedern das Papier „Six critical pathways to zero carbon shipping“ vorgestellt. Da wurde ganz explizit gesagt, wir wollen für CO2 bezahlen, wir brauchen neue, strengere Standards für Neubauten. Ein weiterer wichtiger Punkt, der nun hoffentlich bei MEPC 80 beschlossen wird, ist eine transparente Analyse des Lebenszyklus („Well-to-Wake“) von Kraftstoffen in Verbindung mit Regulierungsmechanismen, die Anreize für den Einsatz alternativer Kraftstoffe schaffen. Bei Hapag-Lloyd hoffen wir, dass wir unsere LNG-Schiffe eines Tages mit synthetischem LNG betanken können, generiert durch Windkraftanlagen in Nord- und Ostsee. Die Brennstoffversorgung in den Häfen muss aber sichergestellt sein. Hinzu kommt der Bereich Research and Development. Weder Hapag-Lloyd noch unsere Marktbegleiter haben die finanziellen Ressourcen, um in verschiedene Richtungen zu forschen und immer wieder Misserfolge zu erleben, was in der Forschung ja ganz normal ist. Das ist ein zu hohes Risiko für die Unternehmen, weshalb ein branchenübergreifend konzertiertes Vorgehen ebenso wie der enge Schulterschluss zwischen Unternehmen, Forschung und Politik umso wichtiger sind. Wir wollen daher natürlich auch Gelder aus der öffentlichen Hand haben. Das „Fit for 55“-Gesetzespaket der EU etwa könnte noch stärker für die Seeschifffahrt genutzt werden.

Welche konkreten Entscheidungen erwarten Sie neben einer Verschärfung der Treibhausgasreduktionsziele?

Es ist sehr komplex. Mittlerweile liegen knapp 130 Einreichungen vor, die alle von den Delegierten gelesen, bearbeitet und letztlich diskutiert werden müssen. Es ist wichtig zu betonen, dass es sich nicht nur um das Thema Treibhausgasreduktion dreht, sondern etwa auch um Luftverschmutzung. Die Energieeffizienz von Schiffen ist wichtig, auch hier muss nachgearbeitet werden. Zum sogenannten Carbon Intensity Index haben wir Konsens in der Industrie, dass er ein bisschen schnell aus der Hüfte geschossen worden ist. Da gibt es Defizite, die gelöst werden müssen. Natürlich müssen wir uns auch als Industrie weiter mit konstruktiven Vorschlägen einbringen. Das ist aber längst noch nicht alles. Wir sprachen schon von der Sulphur Emission Control Area (SECA) im Mittelmeer. Hier könnte durchaus der östliche Nordatlantik nachrücken. Darüber hinaus steht der Schutz von Meerestieren, von Walen im Fokus. Was kann getan werden, um das Kollisionsrisiko von Walen und Schiffen zu minimieren. Es steht jede Menge auf der Agenda.

Was wäre für Sie ein Worst-Case-Szenario bei MEPC 80?

Ich glaube nicht, dass wir über Worst-Case-Szenarien nachdenken müssen. Es kann aber sein, dass wir Mitte Juli nur kleine Schritte sehen werden. Aber ein komplettes Scheitern mag ich mir eigentlich nicht vorstellen.

Was wäre für Sie dann das perfekte Ergebnis?

Natürlich muss das Ziel null Treibhausgasemissionen bis Mitte des Jahrhunderts beschlossen werden. Das hat Priorität. Als zweiten wichtigen Punkt sehe ich die Lebenszyklus-Analyse der Kraftstoffe, und drittens wäre eine Einigung zur globalen Bepreisung von CO2-Emissionen wünschenswert. Der EU-Emissionshandel ist ein gutes System, aber nur ein regionales. Es wäre nicht zielführend, wenn nun andere Parteien wie das Vereinigte Königreich, China oder die USA eigene Systeme einführen würden. Wir sind eine globale Industrie und daher sollte auch die Zielsetzung sein, dass wir globale Regularien haben.

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