Der Wormser Logistikdienstleister TST setzt auf E-Lkw.

Bild: TST

Der lange Weg zum E-Lkw-System

11.04.2024

Der Umstieg vom Verbrenner-Lkw auf den Elektro-Lastwagen ist alles andere als ein einfacher Systemwechsel. Nachdem die technischen Herausforderungen der Fahrzeuge gemeistert wurden, machen sich die klugen Köpfe der Transportbranche Gedanken zur privatwirtschaftlichen Infrastruktur.

Am E-Lkw führt langfristig kein Weg vorbei, doch es klafft (noch) eine beträchtliche Lücke zwischen dem, was die EU-Kommission wünscht und was tatsächlich erreichbar ist. Limitierender Faktor ist in erster Linie der schleppende Ausbau von Stromnetz und öffentlicher Ladeinfrastruktur.

Das gilt vor allem für Deutschland – und die Rahmenbedingungen haben sich weiter verschlechtert: Im Zuge der Haushaltsdebatte gegen Ende des vergangenen Jahres wurden unter anderem die noch nicht ausgeschütteten Fördermittel aus dem KsNI-Programm bis auf Weiteres eingefroren. Damit können Transportunternehmen vorläufig nicht mehr auf die bisher üppig gewährte Unterstützung in Höhe von 80 Prozent der Mehrkosten eines E-Lkw gegenüber einem konventionellen Lkw rechnen. Zudem sind auch die Fördermittel für den Bau von Ladesäulen eingefroren.

TST-Gruppe geht voran

Doch diese radikale Änderung der Rahmenbedingungen schreckt nicht alle Unternehmen ab. Nach wie vor gibt es Macher, die ihre Konzepte für eine emissionsfreie oder zumindest -arme Welt vorantreiben. Einer davon ist Frank Schmidt, Chef des Logistikdienstleisters TST, der vor kurzem zusammen mit dem Energieversorger EWR den Startschuss für ein groß angelegtes Elektrifizierungsprojekt gegeben hat.

Die beiden Partner haben gemeinsam mit der PVSM Energy GmbH ein 50:50-Joint-Venture gegründet, um an den 77 Standorten der TST-Gruppe eine umfassende Lösung für die Energieversorgung von E-Lkw umzusetzen. Die Eckpfeiler dabei sind Photovoltaik-Anlagen, die auf den Dächern der TST-Hallen installiert werden, großzügig dimensionierte Speichereinheiten und ein durchdachtes Infrastrukturkonzept für die Ladesäulen. Ein Projekt, in das allerdings auch beträchtliche Investitionen fließen werden. TST und EWR beziffern die Kosten für den bundesweiten Rollout mit rund 150 Millionen Euro.

Bei allem Enthusiasmus für die Elektromobilität sind die Ziele mit Augenmaß dimensioniert: Im Laufe dieses Jahres sollen die ersten 16 PV-Anlagen in Betrieb gehen. Bis Ende 2025 sollen bereits 41 Anlagen rund 70 Gigawatt Strom erzeugen. An windreichen Standorten wie Hamburg und Bremen soll außerdem Windenergie genutzt werden.

Konzept weiter gedacht

Parallel dazu errichten die Joint-Venture-Partner die notwendige Infrastruktur, um batterieelektrisch betriebene Lkw versorgen zu können. Auch hier wurde ein wenig weiter gedacht: An den TST-Standorten werden nicht nur Ladesäulen installiert, sondern auch Pufferspeicher mit einer Batteriekapazität von bis zu 3 Megawattstunden. Diese Speicher sollen kontinuierlich geladen werden und sind mit sogenannten Superchargern mit einer Ladeleistung von bis zu 400 Kilowatt gekoppelt. Über diese können die Stromspeicher der E-Lkw dann vergleichsweise schonend, aber dennoch ausreichend schnell wieder geladen werden.

Das Prinzip ist nicht ganz neu. Bereits vor gut einem Jahr hat der Schweizer E-Lkw-Anbieter Designwerk das Prinzip einer Kombination aus mobiler Speichereinheit und Ladetechnik mit unterschiedlicher Ladekapazität vorgestellt. Im vergangenen Dezember wurde die erste Station der Öffentlichkeit präsentiert. Sie kann bis zu 2 Gigawatt Energie speichern und lässt sich mit bis zu vier Ladepunkten – sowohl für das Megawatt-Charging als auch das schonende Night-Charging – kombinieren. Wie teuer die Lösung ist, wurde bisher noch nicht bekanntgegeben. Bisher handelt es sich noch um Einzelfertigungen.

Doch zurück zu TST. Die Gedanken von Firmenchef Schmidt reichen noch weiter. Er kann sich vorstellen, die Infrastruktur nicht nur für den eigenen Fuhrpark zu nutzen, sondern auch für Dritte zu öffnen. Ein entsprechendes Verrechnungsmodell dürfte sich finden lassen. Die erste E-Tankstelle soll bereits im Mai dieses Jahres als Pilotprojekt in Worms in Betrieb gehen.

Initiative der Lkw-Branche

Fahrt aufgenommen hat auch das Ladesäulen/-park-Projekt von Milence. Die gemeinsame Elektroinfrastruktur-Tochter von Daimler Truck, der Traton Gruppe und Volvo Trucks hat nach gut eineinhalb Jahren Vorbereitung bereits im vergangenen Dezember bei Venlo in den Niederlanden ihren ersten Charging Hub eingeweiht. Allerdings lässt der Name mehr erwarten als tatsächlich vor Ort errichtet wurde: An dem Ladepunkt stehen vorerst lediglich zwei Ladesäulen nach dem Combined Charging System Standard (CCS) zur Verfügung. Beide erbringen Ladeleistungen von bis zu 400 Kilowatt pro Stunde und können so eine 600-Kilowattstunden-Batterie in weniger als einer Stunde von 20 auf 80 Prozent laden.

Zwei weitere, echte Ladeparks entstehen gerade im Hafen von Antwerpen. Bis zum Mai 2024 sollen die beiden Anlagen mit jeweils 15 Ladebuchten fertiggestellt sein. Auch hier werden vorerst Ladesäulen nach dem CCS-Standard mit Ladeleistungen von bis zu 400 Kilowatt aufgebaut. Sobald die Technik verfügbar ist, sollen die Anlagen auf Megawatt-Charging-Systeme umgerüstet werden.

Die Ideen des Ceva-CEOs

Auch Luc Nadal, Europachef von Ceva Logistics, beschäftigt sich derzeit intensiv mit dem Thema Ladeinfrastruktur. Kern seiner Überlegungen ist es, aus einer privatwirtschaftlichen Initiative der Transportwirtschaft heraus die notwendige Ladeinfrastruktur in ganz Europa zu schaffen. Anders als TST-Chef Schmidt will er dabei nicht die bestehenden Logistikstrukturen für den Aufbau der Ladestationen nutzen. Ihm schwebt ein Netz an Ladeterminals entlang der großen Fernstraßen vor, das dicht genug geknüpft ist, um auch große Transportdistanzen mit batterieelektrischen Lkw bewältigen zu können.

Dabei spielt es für Nadal eine Rolle, dass bisherige Transportkonzepte wie die Just-in-time- und Just-in-sequence-Anlieferung an großen Industriestandorten auch mit E-Lkw unverändert weiter funktionieren. Damit das gelingt, müssten die Ladeparks mit leistungsfähigen Ladesäulen ausgestattet sein, die es erlauben, die Lkw bei Bedarf innerhalb der vorgeschriebenen Pausenzeiten der Fahrer auf mindestens 80 Prozent der Batteriekapazität zu laden. In der Einstiegsphase würden 20 Megawatt-Charger pro Ladepark ausreichend sein, doch sollte Platz genug für insgesamt 80 Ladeplätze vorgesehen werden.

Ambitionierter Plan

Der Ceva-Europachef hat sich auch einige Gedanken zum Zeithorizont gemacht. Er geht davon aus, dass sich innerhalb von drei Jahren europaweit 320 solcher Ladeterminals errichten lassen. Diese müssten natürlich öffentlich zugänglich sein und sämtlichen Wettbewerbern zu denselben Bedingungen zur Verfügung stehen.

Allerdings weist das Konzept noch zwei Lücken auf: Zum einen müsste gewährleistet sein, dass für die E-Lkw ein Ladeplatz gesichert zur Verfügung steht, wenn der Ladestand der Batterien niedrig ist. Das aber könnte über ein europaweit gültiges Reservierungssystem erreicht werden. Gravierender ist allerdings, dass noch ungeklärt ist, wie die Ladeparks permanent mit der notwendigen Energie versorgt werden können. Hintergrund ist, dass es das neue Energiewirtschaftsgesetz in Deutschland den Verteilnetzbetreibern erlaubt, für private Ladepunkte die Ladeleistung drastisch auf gerade mal 4,2 Kilowatt zu begrenzen. Schwächelt also das Netz, weil zu viele Verbraucher versorgt werden müssen, würde sich das Laden der E-Lkw-Batterien über mehrere Tage hinziehen. Die Lösung des Problems hat TST-Chef Frank Schmidt jedoch schon parat: Mit ausreichend dimensionierten Pufferspeichern und einer eigenen Energieerzeugung – sei es über Photovoltaik oder Windenergie – lassen sich die Schwächen im Netz überbrücken.

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